Donnerstag, 23. März 2017

Neuigkeiten aus Kamerun

Hallo ihr Lieben,

wie einige von euch vielleicht mitbekommen haben, wird im anglophonen Gebiet Kameruns nun schon seit Mitte November in unterschiedlichen Formen demonstriert und gestreikt. Seit ca. fünf Monaten sind deswegen die Schulen im Nord- und Südwesten geschlossen, es kommt immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen, sowohl von Demonstranten als auch von Seiten der Regierung, und zudem wurde am 18.01. das Internet für den englischsprachigen Raum gekappt um den Informationsfluss zu hindern (daher kam ich auch erst dieser Tage, bei einem kurzen Aufenthalt im frankophonen Bafoussam, dazu, diesen und den vorherigen Beitrag hochzuladen).

Eigentlich wollte ich schon früher in einem Blogbeitrag über die politische und gesellschaftliche Situation und ihre Ausmaße hier berichten, bin dann aber doch immer ein wenig davor zurückgeschreckt, da man nur schwer und selten objektive und fundierte Informationen erhält. Bei angeblichen Fakten und Videos die per Internet und SMS verbreitet werden und den widersprüchlichen Geschichten, welche die staatlichen Fernsehsender melden, fällt es schwer den Überblick zu behalten und zwischen Wahr und Falsch zu unterscheiden. Auch kamerunische Vertraute erzählen und erklären bestimmte Geschehnisse und Neuigkeiten sehr anders, da auch sie einerseits Schwierigkeiten haben an aufgeklärte Nachrichten zu kommen (und man sich häufig auf Erzähltes verlassen muss), und andererseits aber auch viele Angst vor Spitzeln der Regierung haben und deswegen nicht gerne ihre Meinung öffentlich machen.

Ich beziehe mich für diesen Bericht hauptsächlich auf einen öffentlichen Appell der Bischöfe in der Nord- und Südwestregion an den Präsidenten Paul Bija; in dem Brief beschreiben sie unter anderem die geschichtlichen Hintergründe und das „anglophone Problem“. Dazu kommt Selbsterlebtes und Informationen, die Eli mir gegeben hat, da bei ihrer Arbeit im Justice and Peace Office noch sehr viel mehr über den Streik gesprochen wurde. Zudem hat sie auch ein Video mit ihrer Kollegin Ivonne gemacht, welche die die Ursachen und den Verlauf des Konflikts meiner Meinung nach sehr gut beschreibt (https://www.youtube.com/watch?v=KvwHsZLuQgQ).

Die Ursache des Streiks kann man eigentlich bis zur Kolonialzeit zurückverfolgen. Nach der deutschen Kolonialherrschaft wurde das kamerunische Gebiet 1916 in eine französische und eine britische Verwaltung aufgeteilt. Diese bauten in ihren jeweils eigenen Provinzen zwei politisch völlig getrennte Einheiten auf, was eine spätere Wiedervereinigung deutlich erschwerte. Nach der Unabhängigkeit 1961 konnte sich der britische Raum entscheiden, ob er Unabhängigkeit durch einen Anschluss an Nigeria oder an die französischen Provinz Kameruns, die „Republic of Cameroon“ wollte. Die Bevölkerung wollte eigentlich mehrheitlich die Bildung eines eigenen Staates, dies wurde allerdings ironischerweise schon vorab von Großbritannien gestrichen, weswegen nun, per Volksabstimmung, der nördliche Teil beschloss sich Nigeria anzuschließen, während der südlich Teil mit dem französischen Kamerun die „Federal Republic of Cameroon“ bildete. Obwohl die britische Provinz nur ein Fünftel des Landes ausmacht, sollten beide „Kulturen“ laut Verfassung gleichbehandelt werden und Englisch und Französisch wurden die beiden Amtssprachen des Landes.

In Realität dominiert aber nun das Französische. Viele Anglophone haben das Gefühl, ihre Kultur werde systematisch ausgegrenzt und durch die Französische ersetzt. So wurde inzwischen das „Federal“ aus der „Republic of Cameroon“ wieder herausgenommen, ein eigentlich unnötiger Schritt, der für viele Nord-und Südwestler nur ein weiterer Beweis dafür  ist, dass der föderale Gedanke untergraben wird. Beamten und Repräsentanten der Staatsgewalt und des Militärs sind überproportional frankophon und versuchen nicht einmal im englischsprachigen Teil englisch zu sprechen. Eine hinzukommende gewisse Hochnäsigkeit verschlimmert die Lage noch immens. Auch in der Politik scheinen Schlüsselpositionen meist unter Frankophonen aufgeteilt zu sein und Gesetzestexte werden teils gar nicht mehr ins Englische übersetzt. Wie im Rest des Landes wird auch in den Schulen das Englische marginalisiert; zentrale Abschlussprüfungen werden häufig nicht übersetzt, französische Lehrer werden - obwohl sie kein Englisch sprechen - in die anglophonen Regionen zum Unterrichten geschickt und auch hier scheinen es frankophone Schüler einfacher zu haben auf gute Universitäten zu kommen.

Zu diesem anglophonen Problem kommt noch ein allgemeiner Frust auf die Regierung, die allerdings weiterhin jedwede Benachteiligung der anglophonen Region bestreitet und das Problem ignoriert. Paul Biya ist nun schon seit über 34 Jahren Präsident (zuvor schon 7 Jahre Premierminister) und in der Politik scheint sich seither nichts zu ändern –  jedenfalls  sind nur wenige Fortschritte im Alltag zu sehen. Das regt die meisten Kameruner mit denen man spricht besonders auf, da Kamerun eigentlich viele Ressourcen hat und tatsächlich schon viel weiter sein könnte. All das hat schlussendlich dazu gefühlt, dass viele nicht mehr an die Demokratie, sondern an die Korruption im eigenen Land glauben.

Nun wurden allerdings die Stimmen der Unzufriedenen lauter. Mitte November fing es mit einem Streik der Anwälte in den Nord- und Südwestregionen an, welche eine Übersetzung des „Ohada-Laws“ ins Englische forderten, dem Handelsrecht mit West und Zenralafrika. Bald darauf schlossen sich auch die Lehrer an. Der Versuch, den Streik gewaltsam zu unterdrücken, schlug fehl und führte nur dazu, dass sich noch mehr Leute, darunter auch viele für das Alltagsleben so wichtige Bike-Fahrer, den Demonstrationen anschlossen und sich die Bewegung radikalisierte. Inzwischen kam es gerade in Bamenda, der inoffiziellen Hauptstadt des anglophonen Raums und in der Universitätsstadt Buea zu Ausnahmezuständen, krassen Menschenrechtsverletzungen und massiver Gewalt von beiden Seiten, die nun auch schon Todesopfer forderte. In Kumbo blieb es allerdings relativ ruhig und wir persönlich bekamen nur wenig von der Krise mit.

Ab Anfang Januar an etablierte sich dann „Ghost Town“ als Streikmethode in den Nord- und Südwestlichen Regionen. Ghost Town ist jeden Montag und bedeutet, dass alle Geschäfte an diesem Tag geschlossen bleiben, die Bikes und Taxis nicht mehr fahren und keiner auf die Straße geht. In der Theorie ist diese Methode des Demonstrierens eigentlich sehr bewundernswert, da sie einerseits sehr aussagekräftig und dazu noch vollkommen friedlich ist. Man muss aber sagen, dass einerseits die Regierung in Yaoundé nicht allzu beeindruckt von Ghost Town wirkt und andererseits auch viele Kleinhändler Ghost Town nicht freiwillig unterstützen, sondern aus Angst vor Vandalismus ihre Geschäfte schließen, denn „Verräter des Streiks“ werden unter den radikaleren Strängen der Bewegung nicht gerne gesehen.

Ein wichtiger Grund warum der Widerstand dieses Mal lauter zu Tage kommt, ist durch das Internet geschaffen. Da die wichtigsten Fernsehsender alle verstaatlicht sind und meistens im Thema Streik Lügen veröffentlichen, zum Beispiel melden, dass in Bamenda die Schulen wieder geöffnet sind, wenn dies faktisch einfach nicht stimmt, sind für viele Kameruner Whatsapp und Facebook zu den wichtigsten Medien geworden, wenn es darum geht Informationen zu verbreiten und den Widerstand zu organisieren. Natürlich birgt auch das wieder ganz andere Gefahren mit sich, denn häufig kann man sich über die Herkunft einiger Texte oder Videos, welche beispielsweise die Missstände in Buea zeigen sollen, nicht sicher sein und trotzdem werden sie von vielen ernst genommen und schüren die Wut und Radikalisierung. Unter anderem deswegen, die genauen Gründe wurden nie genannt, hat die Regierung am 18.01. dann das Internet für den anglophonen Raum einfach abgestellt. Für uns aus Deutschland ziemlich unvorstellbar und auch für die Kameruner erst einmal ein Schock.

Der Streik geht trotzdem noch weiter, auch wenn Ghost Town, zumindest in Kumbo, immer weniger durchgehalten wird. Einzuschätzen, wie es jetzt weitergehen soll, fällt mir schwer. Der Schulstreik scheint in eine Art Sackgasse gelaufen zu sein; die Schulen zu öffnen, ohne irgendwelche vorausgegangenen und ernstzunehmenden Reformationsansätze, würde wie eine Niederlage aussehen, weswegen die meisten Schulen weiter streiken, dabei sind  allerdings die anglophonen Schüler und Familien selbst, die ihr Schulgeld für dieses Jahr schon bezahlt haben und jetzt nicht zur Schule gehen können, die größten Verlierer.

Es gibt zwar immer noch einige starke Reformations- oder sogar Separationsströmungen in den anglophonen Regionen, aber viele Leute, die mir begegnen, scheinen des Streikens mittlerweile müde zu sein. Die Lehrer bekommen kein Gehalt mehr und auch viele Händler kämpfen mit einem Tag weniger Arbeit und Verdienst in der Woche. Dazu kommt noch, dass man momentan ohne Internet auch keine Geldtransfers machen kann, was einige Familien in eine finanziell schwierige Situation bringt. Man sehnt sich wieder nach einer stabilen und sicheren Lage, aber dass die ganzen bisherigen Opfer umsonst gewesen sein sollen, ist natürlich auch kein schöner Gedanke. Es bleibt also nur die Hoffnung, dass Regierung und Widerstand vielleicht doch noch in einen Dialog kommen und es schaffen, dieses Problem auf eine friedliche Art und Weise zu lösen.

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