Das Waisenhaus wurde von einem Nonnenkloster gegründet und
wird seit sieben Jahren von Sister Pepetua geleitet. Das meiste, was ich über
das Waisenhaus weiß, habe ich von ihr und unseren gemeinsamen Gesprächen
während des Mittagessens erfahren. So
hat sie mir auch erklärt, dass das Waisenhaus keine Unterstützung von der Kirche bekommt,
sondern auf Spenden von außerhalb angewiesen ist. Deswegen sind auch alle
Erzieher, bis auf Ivoline, Schüler, die auf einer Freiwilligen-Basis arbeiten.
Im Gegenzug bekommen die Mädchen, welche meistens aus ländlicheren und ärmeren
Gegenden kommen, kein Geld, sondern können im Waisenhaus leben und werden durch
Sister an ausländische Hilfsorganisationen vermittelt, welche ihnen ermöglichen
zur Schule zu gehen. Etwas was ihnen sonst aufgrund der hohen Kosten verwehrt
bleiben würde.
Momentan sind im Waisenhaus insgesamt „nur“ 13 Kinder, welche alle zwischen ein und vier Jahre alt sind.
Das Wort „orphanage“ oder Waisenhaus ist in diesem Falle etwas irreführend, die
meisten Kinder dort sind nämlich gar keine Vollwaisen und haben meistens noch
ihre Väter oder andere Familienmitglieder,
die manchmal, wenn auch selten, zu Besuch kommen. Das Waisenhaus nimmt Babys
auf, die ihre Mütter verloren haben und dessen Familien nicht das Geld oder die
Möglichkeit haben, sich um die Kleinen zu kümmern. Gedacht ist, dass die Kinder,
wenn sie in dem Alter sind um in den Kindergarten zu gehen, wieder zurück zu
ihren Vätern oder nächsten Verwandten kommen; sollte dies aber nicht möglich sein,
können die Kinder auch länger im Waisenhaus bleiben.
Meisten kam ich so um halb neun zur Arbeit und wurde zum
Ende hin immer freudiger von den Kindern begrüßt. Am Anfang sah das allerdings
noch ganz anders aus und ich war total verunsichert, da die meisten Babys erst
einmal Angst vor mir hatten und immer fürchterlich weinten, wenn ich ihnen zu nahe
kam oder sie gar versuchte zu füttern oder auf den Arm zu nehmen. Langsam
besserte sich das allerdings; zuerst fingen sie mich an mit dem Namen meiner
Vorfreiwilligen zu rufen und irgendwann wurde ich dann offiziell als Charlotte
akzeptiert.
Meine Aufgaben bestanden hauptsächlich darin mit den neun
Kindern, welche nicht in den Kindergarten gehen, zu spielen und beim
Windelwechseln und füttern zu helfen. Da vormittags bis auf drei Erzieher alle
anderen immer in der Schule waren, hatte ich im Waisenhaus das Gefühl wirklich
gebraucht zu werden und es gab immer viel zu tun. Auch wenn ich, gerade anfangs, leicht überfordert war, auf einmal
mit neun Kindern alleine gelassen zu werden (vor allem wenn mal wieder
irgendwie alle Kinder beschlossen auf einmal loszuweinen), kann ich verstehen,
dass die Erzieher auch mal ihre Auszeit brauchten oder die Zeit nutzen wollten, um Wäsche zu waschen oder zu putzen. Die Babys haben für deutsche Verhältnisse
sehr wenig Spielzeug und sind so mehr oder weniger gezwungen zu lernen, sich
eigenständig gut zu unterhalten und waren schon immer total happy wenn ich sie
nur hochhob oder mit ihnen rumrannte. Auch wenn die Kinder noch sehr klein sind
und die meisten noch nicht viel mehr sagen konnten als ein, zwei Worte, war ich
überrascht, was für ausgeprägte Charaktere die Kleinen doch hatten und wie
unterschiedlich sie sich ausdrückten. Boboy (ich bin mir nie sicher wie man
diese Namen schreibt) war zum Beispiel schneller mal beleidigt und konnte die
Stirn runzeln wie ein Weltmeister (was
eigentlich total süß aussah) und wenn er mal sauer war, legte er sich einfach
auf den Boden und rollte sich konsequent von einem weg. Ganz anders war dagegen
Sandrine, die eigentlich nie weinte und immer lächelte, meistens setzte sie
sich einfach hin und schaute den anderen zu. Dann gab es noch Benecasia, die
ihre Schuhe am liebsten dazu benutzte, um „Telefonieren“ zu spielen, da sie
allerdings nicht mehr sagen konnte als „hello“ und „fine“, wurden unsere
Telefonate immer sehr schnell sehr wiederholend;).... Und, und, und.... ich
könnte noch ewig so weiterschreiben; ihr seht, es ist fast unmöglich diese
Kinder nicht liebzugewinnen.
Zwischen elf und halb zwölf gab es dann Mittagessen. Während
in Deutschland ja meistens schon von klein auf darauf geachtet wird, dass sich
auch die Kinder gesund ernähren, ist das Essen hier alles andere als ausgewogen
und es gibt fast immer nur Reis oder Nudeln mit Öl.
Nachdem die Kinder gegessen und wir sie in ihre Betten
gebracht hatten, denn jetzt war es Zeit fürs Mittagsschläfchen, konnte ich dann
auch essen. Sister Pepetua war der festen Überzeugung, dass ich, (als Weiße) kamerunisches Essen nicht
vertragen würde und wollte mir nicht glauben, wenn ich ihr versicherte dass es
mir doch schmecken würde, deswegen kochte sie immer extra für mich, was einfach
total lieb war.
Während die Kinder schliefen, konnten Ivoline und ich dann
das Spielezimmer aufräumen und Geschirr abwaschen. Danach gab es eigentlich
nicht mehr viel zu tun und wenn alle Kinder ruhig schliefen (was eher selten
der Fall war), bin ich manchmal sogar selber eingeschlafen;) Mit den ruhigen
Tagen war es aber immer dann spätestens vorbei, wenn der Kindergarten ausfiel
und die etwas „älteren“; Mary
und die Drillinge Peter, James und John zuhause blieben, dann wurde getobt,
geschrien und genereller Unfug getrieben.
Meistens arbeitete ich bis zwei Uhr, da ich aber die einzige
„Erzieherin“ war, die außerhalb des Waisenhauses lebte, wurde das meistens
nicht so ernst genommen und ich konnte zwar manchmal früher gehen, wenn ich zum
Beispiel noch einkaufen musste, aber genauso war klar, dass ich länger bleiben
würde, wenn irgendein Kind weinte oder nicht einschlafen wollte. Zweimal habe
ich sogar im Waisenhaus übernachtet, um den ganzen Tagesablauf der Kinder und
Erzieher kennenzulernen. Diese Erfahrung war besonders schön, vor allem weil
ich dadurch auch die Mädchen besser kennenlernen konnte, die sonst während
meiner normalen Arbeitszeit immer weg in der Schule waren.
Die Erzieherinnen sind mir inzwischen zu richtigen Freunden
geworden. Das größte war eh, wenn ich mein Handy oder Elis Kamera dabeihatte und
wir kleine Fotoshootings veranstaltet konnten. Dann gab es unzählige
Outfitwechsel, verschiedenstes Posing und wir konnten uns meistens gar nicht
mehr einkriegen vor Lachen. Einmal lud ich zwei der Mädchen zu uns nach Hause
ein und war etwas verwirrt, als sie mir antworteten, dass ich dafür erst einmal
Sister fragen müsste. Leider dürfen die Erzieherinnen ohne Sister Pepetuas
Einwilligung anscheinend nicht das Waisenhaus verlassen. Sister erlaubte dann
auch prompt das geplante oder überhaupt irgendein zukünftiges Treffen nicht,
mit der Begründung, sie bräuchte die Erzieherinnen im Waisenhaus, aber sie würden,
wie bei den Freiwilligen davor, dann alle zu meiner Abschiedsparty kommen.
Naja, Sister selber ist gefühlt ständig aus dem Haus, also so ganz verstehe ich
das nicht und finde es sehr schade, Ivoline und die Anderen nicht außerhalb des Waisenhauses sehen zu können.
Was mich auch noch verwundert hat, ist, wie so liebe
Menschen die Kinder immer noch schlagen können. Denn ein Klaps oder eine
Drohung dazu, gehört im Waisenhaus wie selbstverständlich zur Erziehung. Dass
die Erzieher die Kinder lieben, ist eindeutig und trotzdem wenden sie solche
Maßnahmen an, anscheinend kennen sie es selber nicht besser, denn in Kamerun
gehört Schlagen in der Familie und in der Schule noch eindeutig mit zum
Programm. Auch wenn ich das schon vorher wusste, ist es doch immer sehr schlimm
so etwas zu sehen. Zum Glück erwartete keiner von mir, dass ich zu solchen
Maßnahmen bei den Kindern greifen würde und auch wenn sie deswegen nicht so gut
auf mich hörten, war es mir das allemal wert. Trotzdem war es traurig zu sehen,
wie sehr sich die Kinder schon daran gewöhnt hatten und sich gegenseitig hauten oder mir mit Sätzen
wie „I`ll beat you“ drohten, wenn ihnen etwas nicht gefiel.
Im Rückblick habe ich - auch wenn man sich ein Waisenhaus
vielleicht immer etwas traurig vorstellt - den Ort selten so erlebt. Zwar
konnten einen der Geld- und teilweise Erziehermangel oder eben manche
Erziehungsmethoden mal bedrücken, aber die Erzieher sind überwiegend so
herzlich und die Kinder so fröhlich, das der Ort für mich immer ein sehr
glücklicher war. Dabei habe ich die 13 Kinder sehr ins Herz geschlossen und
vermisse sie jetzt schon. Nachher denkt man zwar immer noch, was man vielleicht
hätte mehr oder besser machen können, mehr Spiele spielen, mehr Geduld haben....
aber insgesamt habe ich meine Zeit im Waisenhaus sehr genossen und ich hoffe
die Kinder ebenso.