Neuigkeiten aus
Kamerun
Hallo ihr
Lieben,
wie einige
von euch vielleicht mitbekommen haben, wird im anglophonen Gebiet Kameruns nun
schon seit Mitte November in unterschiedlichen Formen demonstriert und
gestreikt. Seit ca. fünf Monaten sind deswegen die Schulen im Nord- und
Südwesten geschlossen, es kommt immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen, sowohl
von Demonstranten als auch von Seiten der Regierung, und zudem wurde am 18.01.
das Internet für den englischsprachigen Raum gekappt um den Informationsfluss
zu hindern (daher kam ich auch erst dieser Tage, bei einem kurzen Aufenthalt im
frankophonen Bafoussam, dazu, diesen und den vorherigen Beitrag hochzuladen).
Eigentlich
wollte ich schon früher in einem Blogbeitrag über die politische und
gesellschaftliche Situation und ihre Ausmaße hier berichten, bin dann aber doch
immer ein wenig davor zurückgeschreckt, da man nur schwer und selten objektive
und fundierte Informationen erhält. Bei angeblichen Fakten und Videos die per
Internet und SMS verbreitet werden und den widersprüchlichen Geschichten,
welche die staatlichen Fernsehsender melden, fällt es schwer den Überblick zu behalten
und zwischen Wahr und Falsch zu unterscheiden. Auch kamerunische Vertraute
erzählen und erklären bestimmte Geschehnisse und Neuigkeiten sehr anders, da
auch sie einerseits Schwierigkeiten haben an aufgeklärte Nachrichten zu kommen (und
man sich häufig auf Erzähltes verlassen muss), und andererseits aber auch viele
Angst vor Spitzeln der Regierung haben und deswegen nicht gerne ihre Meinung
öffentlich machen.
Ich
beziehe mich für diesen Bericht hauptsächlich auf einen öffentlichen Appell der
Bischöfe in der Nord- und Südwestregion an den Präsidenten Paul Bija; in dem
Brief beschreiben sie unter anderem die geschichtlichen Hintergründe und das
„anglophone Problem“. Dazu kommt Selbsterlebtes und Informationen, die Eli mir gegeben
hat, da bei ihrer Arbeit im Justice and Peace Office noch sehr viel mehr über
den Streik gesprochen wurde. Zudem hat sie auch ein Video mit ihrer Kollegin
Ivonne gemacht, welche die die Ursachen und den Verlauf des Konflikts meiner
Meinung nach sehr gut beschreibt (https://www.youtube.com/watch?v=KvwHsZLuQgQ).
Die
Ursache des Streiks kann man eigentlich bis zur Kolonialzeit zurückverfolgen.
Nach der deutschen Kolonialherrschaft wurde das kamerunische Gebiet 1916 in
eine französische und eine britische Verwaltung aufgeteilt. Diese bauten in
ihren jeweils eigenen Provinzen zwei politisch völlig getrennte Einheiten auf,
was eine spätere Wiedervereinigung deutlich erschwerte. Nach der Unabhängigkeit
1961 konnte sich der britische Raum entscheiden, ob er Unabhängigkeit durch
einen Anschluss an Nigeria oder an die französischen Provinz Kameruns, die „Republic
of Cameroon“ wollte. Die Bevölkerung wollte eigentlich mehrheitlich die Bildung
eines eigenen Staates, dies wurde allerdings ironischerweise schon vorab von
Großbritannien gestrichen, weswegen nun, per Volksabstimmung, der nördliche
Teil beschloss sich Nigeria anzuschließen, während der südlich Teil mit dem
französischen Kamerun die „Federal Republic of Cameroon“ bildete. Obwohl die
britische Provinz nur ein Fünftel des Landes ausmacht, sollten beide „Kulturen“
laut Verfassung gleichbehandelt werden und Englisch und Französisch wurden die
beiden Amtssprachen des Landes.
In
Realität dominiert aber nun das Französische. Viele Anglophone haben das Gefühl,
ihre Kultur werde systematisch ausgegrenzt und durch die Französische ersetzt.
So wurde inzwischen das „Federal“ aus der „Republic of Cameroon“ wieder
herausgenommen, ein eigentlich unnötiger Schritt, der für viele Nord-und
Südwestler nur ein weiterer Beweis dafür
ist, dass der föderale Gedanke untergraben wird. Beamten und Repräsentanten
der Staatsgewalt und des Militärs sind überproportional frankophon und versuchen
nicht einmal im englischsprachigen Teil englisch zu sprechen. Eine
hinzukommende gewisse Hochnäsigkeit verschlimmert die Lage noch immens. Auch in
der Politik scheinen Schlüsselpositionen meist unter Frankophonen aufgeteilt zu
sein und Gesetzestexte werden teils gar nicht mehr ins Englische übersetzt. Wie
im Rest des Landes wird auch in den Schulen das Englische marginalisiert;
zentrale Abschlussprüfungen werden häufig nicht übersetzt, französische Lehrer
werden - obwohl sie kein Englisch sprechen - in die anglophonen Regionen zum
Unterrichten geschickt und auch hier scheinen es frankophone Schüler einfacher
zu haben auf gute Universitäten zu kommen.
Zu diesem
anglophonen Problem kommt noch ein allgemeiner Frust auf die Regierung, die allerdings
weiterhin jedwede Benachteiligung der anglophonen Region bestreitet und das
Problem ignoriert. Paul Biya ist nun schon seit über 34 Jahren Präsident (zuvor
schon 7 Jahre Premierminister) und in der Politik scheint sich seither nichts
zu ändern – jedenfalls sind nur wenige Fortschritte im Alltag zu
sehen. Das regt die meisten Kameruner mit denen man spricht besonders auf, da
Kamerun eigentlich viele Ressourcen hat und tatsächlich schon viel weiter sein
könnte. All das hat schlussendlich dazu gefühlt, dass viele nicht mehr an die
Demokratie, sondern an die Korruption im eigenen Land glauben.
Nun wurden
allerdings die Stimmen der Unzufriedenen lauter. Mitte November fing es mit
einem Streik der Anwälte in den Nord- und Südwestregionen an, welche eine
Übersetzung des „Ohada-Laws“ ins Englische forderten, dem Handelsrecht mit West
und Zenralafrika. Bald darauf schlossen sich auch die Lehrer an. Der Versuch, den
Streik gewaltsam zu unterdrücken, schlug fehl und führte nur dazu, dass sich
noch mehr Leute, darunter auch viele für das Alltagsleben so wichtige Bike-Fahrer,
den Demonstrationen anschlossen und sich die Bewegung radikalisierte.
Inzwischen kam es gerade in Bamenda, der inoffiziellen Hauptstadt des
anglophonen Raums und in der Universitätsstadt Buea zu Ausnahmezuständen,
krassen Menschenrechtsverletzungen und massiver Gewalt von beiden Seiten, die nun
auch schon Todesopfer forderte. In Kumbo blieb es allerdings relativ ruhig und
wir persönlich bekamen nur wenig von der Krise mit.
Ab Anfang
Januar an etablierte sich dann „Ghost Town“ als Streikmethode in den Nord- und
Südwestlichen Regionen. Ghost Town ist jeden Montag und bedeutet, dass alle
Geschäfte an diesem Tag geschlossen bleiben, die Bikes und Taxis nicht mehr
fahren und keiner auf die Straße geht. In der Theorie ist diese Methode des
Demonstrierens eigentlich sehr bewundernswert, da sie einerseits sehr
aussagekräftig und dazu noch vollkommen friedlich ist. Man muss aber sagen,
dass einerseits die Regierung in Yaoundé nicht allzu beeindruckt von Ghost Town
wirkt und andererseits auch viele Kleinhändler Ghost Town nicht freiwillig
unterstützen, sondern aus Angst vor Vandalismus ihre Geschäfte schließen, denn
„Verräter des Streiks“ werden unter den radikaleren Strängen der Bewegung nicht
gerne gesehen.
Ein
wichtiger Grund warum der Widerstand dieses Mal lauter zu Tage kommt, ist durch
das Internet geschaffen. Da die wichtigsten Fernsehsender alle verstaatlicht
sind und meistens im Thema Streik Lügen veröffentlichen, zum Beispiel melden,
dass in Bamenda die Schulen wieder geöffnet sind, wenn dies faktisch einfach
nicht stimmt, sind für viele Kameruner Whatsapp und Facebook zu den wichtigsten
Medien geworden, wenn es darum geht Informationen zu verbreiten und den
Widerstand zu organisieren. Natürlich birgt auch das wieder ganz andere
Gefahren mit sich, denn häufig kann man sich über die Herkunft einiger Texte
oder Videos, welche beispielsweise die Missstände in Buea zeigen sollen, nicht
sicher sein und trotzdem werden sie von vielen ernst genommen und schüren die
Wut und Radikalisierung. Unter anderem deswegen, die genauen Gründe wurden nie
genannt, hat die Regierung am 18.01. dann das Internet für den anglophonen Raum
einfach abgestellt. Für uns aus Deutschland ziemlich unvorstellbar und auch für
die Kameruner erst einmal ein Schock.
Der Streik
geht trotzdem noch weiter, auch wenn Ghost Town, zumindest in Kumbo, immer
weniger durchgehalten wird. Einzuschätzen, wie es jetzt weitergehen soll, fällt
mir schwer. Der Schulstreik scheint in eine Art Sackgasse gelaufen zu sein; die
Schulen zu öffnen, ohne irgendwelche vorausgegangenen und ernstzunehmenden
Reformationsansätze, würde wie eine Niederlage aussehen, weswegen die meisten
Schulen weiter streiken, dabei sind allerdings
die anglophonen Schüler und Familien selbst, die ihr Schulgeld für dieses Jahr
schon bezahlt haben und jetzt nicht zur Schule gehen können, die größten
Verlierer.
Es gibt
zwar immer noch einige starke Reformations- oder sogar Separationsströmungen in
den anglophonen Regionen, aber viele Leute, die mir begegnen, scheinen des
Streikens mittlerweile müde zu sein. Die Lehrer bekommen kein Gehalt mehr und
auch viele Händler kämpfen mit einem Tag weniger Arbeit und Verdienst in der
Woche. Dazu kommt noch, dass man momentan ohne Internet auch keine Geldtransfers
machen kann, was einige Familien in eine finanziell schwierige Situation
bringt. Man sehnt sich wieder nach einer stabilen und sicheren Lage, aber dass
die ganzen bisherigen Opfer umsonst gewesen sein sollen, ist natürlich auch
kein schöner Gedanke. Es bleibt also nur die Hoffnung, dass Regierung und Widerstand
vielleicht doch noch in einen Dialog kommen und es schaffen, dieses Problem auf
eine friedliche Art und Weise zu lösen.